Hermann van der Veen Schuster

Schuster, da hätte mein früherer Kollege Heinrich Funke gesagt: „Das ist eine Beleidigung. Das hat mit Schuhen nichts zu tun – Schuster wird doch auch ohne ‚h‘ geschrieben.“ Der Heinrich hat es damals immer sehr genau genommen. Er wollte als Schuhmacher bezeichnet werden. Mich aber störte es nicht, wenn ich mit Schuster angesprochen wurde: „Schuster, wie geht es dir?“ Oder: „Schuster, hast du morgen Zeit, wir haben dieses und jenes vor.“

Das Schuhmacherhandwerk früherer Jahre existiert heute so nicht mehr. Als ich 1952 in die Lehre kam, haben wir dem Beruf Schuhmacher von Grund an noch alle Ehre gemacht. Wir mussten als Lehrlinge lernen, wie ein Schuh aufgebaut wurde. Heute würde man darüber lachen. Die maschinelle Herstellung und die Massenproduktion haben das Schuhmacherhandwerk förmlich zum Erliegen gebracht.

Bis auf ganz wenige Ausnahmen gibt es heute nur noch den Orthopädieschuhmacher, der spezielle Schuhe für kranke Füße herstellt. Sie hatten ihre Glanzzeit nach dem Kriege, als wir die vielen Kriegsverletzten und Prothesenträger usw. hatten. Die brauchten ja alle handgefertigte Schuhe, weil sie mit normalen Schuhen nicht mehr klarkamen. Das hat sich mittlerweile gelegt. Aber inzwischen baut sich in dem Bereich ein neuer Kundenstamm auf. Das sind vor allem die Diabetiker. Diabetiker werden von Tag zu Tag mehr. Die Amputationen in dem Bereich nehmen enorm zu, dass fängt bei der großen Zehe an, hört beim Mittelfuß auf oder der ganze Unterfuß kommt mit weg, das tritt ganz unterschiedlich auf. Es sind Zivilisationsschäden unserer Zeit.

Schuhmacher oder Schuster? Mir ist es egal.

Schuhmacher waren etwas Besonderes

Ein Schuhmacher fühlte sich immer anderen Berufen gegenüber im Vorteil. Oder anders gesagt, er fühlte sich immer als etwas Besseres. In den früheren Jahren waren die Schuhmacher wirklich stolze, selbstbewusste Handwerker. Selbst in einem Kinderlied hat man ja schon an den Schuster gedacht: „Im Keller ist es duster, da wohnt ein armer Schuster.“ Später kam noch ein Schlager hinzu: „Schuster, bleib bei deinen Leisten, schöne Frauen kosten Geld.“ Und eines möchte ich noch erwähnen, viele kennen die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick.Ja, richtig. Der war auch gelernter Schuster oder Schuhmacher. Es hat bei den Schuhmachern auch hohe Persönlichkeiten gegeben.

Wir brauchen ja bloß an unseren Kollegen Heinrich Funke denken, der war sehr aktiv in der Forschung der Geschichte. Den konnte man alles Mögliche fragen, er wusste oft die richtige Antwort. So konnte er mir zum Beispiel genau erzählen, wo mein Großvater herkam. Dass er aus Frankreich kam, hatte ich nicht gewusst, aber Heinrich hatte es mir erzählt.

Ich habe das Schuhmacherhandwerk noch von der Pike auf gelernt. Wir mussten einen Schuh fix und fertig selber machen, von der Sohle bis zum Schaft. Wir haben die Schuhe auch nicht verklebt, sondern mit Pechdraht und mit „Pinnen“ (Holznägel) gearbeitet. Diese Machart wird heute kaum noch angewendet. Heute gibt es im Schuhmacherhandwerk nur noch Klebstoff.

Ich gehörte zum Schluss zu den Reparaturschuhmachern und habe alles repariert, was noch zu reparieren war. Aber was heute kommt, ist mit einem Pechfaden wie früher nicht mehr zu reparieren. Man braucht heute zig verschiedene Sorten Klebstoff, für jedes Material einen anderen. Da kann es immer wieder passieren, dass man einen Schuh repariert hat, und nach zwei Tagen kommt der Kunde wieder. Man hatte den falschen Klebstoff genommen. Dann muss man das wieder neu anschleifen, den richtigen Klebstoff finden oder einem Klebstoff Zusätze hinzufügen. Das ist eine Wissenschaft für sich. Nur um einen Schuh zu flicken.

Billige Schuhe, auch wenn sie von den großen Einzelhändlern sind, kann man oftmals einfach nicht mehr reparieren. Bei hochwertigen Schuhen hat man meist überhaupt keine Schwierigkeiten. Egal wie die aussehen, die kann man immer reparieren. Und hochwertige Schuhe kann man 10 bis 15 Jahre tragen. Wenn man das gegenrechnet, sind das eigentlich die günstigsten Schuhe.

Von der Sohle bis zum Schaft

200 Arbeitsgänge für einen Schuh

Viele wissen gar nicht, wie viele Arbeitsschritte nötig sind, um einen Schuh komplett herzustellen. So viel kann ich hier schon sagen, es sind sehr viele. Wobei man auch wieder unterscheiden muss zwischen der maschinellen und der handwerklichen Herstellung.

Die maschinelle Herstellung besteht aus ca. 200 Arbeitsgängen, denn jedes Teil am Schuh ist ein eigener Arbeitsgang. Das Einsetzen einer Öse als Beispiel ist ein extra Arbeitsgang. Ein Oberlederteil einschlagen, ein extra Arbeitsgang. Das wird heute alles maschinell gemacht. So kommt man leicht auf 200 Arbeitsgänge. In der Industrie gibt es 200 verschiedenen Geräte, um einen Schuh herzustellen.

Ich bin beim Orthopädie-Schuhmachermeister Peters in Nordhorn in die Lehre gegangen. Die handwerkliche Herstellung, die ich dort gelernt hatte, kommt mit viel weniger Arbeitsschritten aus. Die Oberteile, die Schäfte, haben wir nicht selber gemacht. Die kamen meist vom einem sogenannten Schäftemacher. In Schüttorf war das Gerd Mönnink in der Steinstraße. Der machte die Schäfte für die Schuhmacher der ganzen Umgebung. Unsere Aufgabe bestand darin, unter dem Schaft einen Boden, also eine Sohle mit Absatz, zu machen. Das wurde damals nur im handgenähten Verfahren gemacht. Eine unheimlich schwere und unangenehme Arbeit. Ich hatte in der ersten Zeit immer Blasen an den Fingern. Es gab zwar Handschuhe, um die Fäden besser ziehen zu können, aber ich konnte mit den Handschuhen einfach nicht arbeiten. Erst zuletzt hatte ich mich auch an die Handschuhe gewöhnt.

Nähen, bis man Blasen hatte

Zack, war der Finger blutig

Als erstes machte man das sogenannte Einstechen oder Einbinden der Schuhe. Da wurde der Schaft an einer sogenannten Brandsohle angenäht. Wenn der Schaft mit der Brandsohle verbunden war, kam als nächstes die sogenannte Zwischensohle. Die wurde auch wieder genäht, aber in einem anderen Verfahren, im sogenannten Doppelverfahren. Dass heißt, man musste zwei Teile zusammenlegen, um die zusammen zu nähen. Und beim Einstechen auf beide Schaftbefestigungen passierte es oft, dass man mit der Nadel vorbei stach, und zack war der Finger blutig. Manchmal lernt man auch durch Schmerz. Denn je öfter man den Finger getroffen hatte, umso vorsichtiger und gewissenhafter wurde man. Wenn nun das soweit fertig war, bekam der Schuh eine Filzeinlage (Schaumstoff gab es zu meiner Zeit noch nicht, der ist später dazu gekommen). Die wurde in den Schuh eingepasst, damit der Träger nicht zu hart auftritt, denn zu meiner Zeit gab es nur Ledersohlen. Und die waren enorm hart. Das ging auf die Gelenke. Später wurden dann sogenannte Weichgummi- und heute die Luftpolstersohlen genommen. Aber zu meiner Zeit gab es die noch nicht.

Maschinell wurde bei uns wenig gemacht. Das einzige, wofür wir eine Maschine benutzt hatten, war das Schleifen, um Schliff und Glanz an die Schuhe zu bekommen. Aber der letzte Pfiff, der Ausputz, der wurde wieder mit der Hand gemacht. Da hatten wir stapelweise Putzlappen in der Ecke liegen. Jeder Schuh musste glänzen wie ein Lackschuh. Und wehe, wenn nicht. Dann musste man noch einmal Schuhcreme auftragen, einziehen lassen und den Schuh erneut polieren bis der richtig ordentlich glänzte. Auch hier machte Übung den Meister. Irgendwann hatte ich den Bogen raus, dann ging das schneller.

Der letzte Pfiff war Handarbeit

Von der Schule ins wahre Leben

Meine Lehre war ein großer Schritt für mich, weg von der Schule, hinein ins wahre Leben. Da musste ich mich richtig umstellen. Vieles war neu, auch die lange Arbeitszeit. Und ich musste was machen, was ich vorher nie gerne tun mochte – zum Beispiel mit Nadel und Faden arbeiten. Und was mir zu Anfang auch sehr schwer fiel, war, einen Schaft gerade auf den Leisten zu setzen. Es passierte mir oft, dass der schief drauf saß. Das konnte man später am fertigen Schuh genau sehen. Die eine Hälfte der Naht stand weiter nach vor als die andere. In einigen Fällen sollte das sogar sein, wenn man nicht hundertprozentig gerade Füße hatte. Aber meistens eben nicht.

Was für mich auch immer schwierig war, wenn ich Löcher vorkloppen musste. Da musste man so einen Holzpflock reinhauen und dann sofort wieder hochziehen. Aber der saß bei mir oft so fest, den kriegte ich nicht wieder raus. Mein Chef zeigte mir immer wieder, wie ich es machen sollte. Der haute mit geschlossenen Augen den Pflock rein, und nichts saß bei dem fest. Gehörte eben unwahrscheinlich viel Übung dazu, und die richtige Technik. Aber irgendwann hatte ich das aus raus.

Ein weiteres Problem hatte ich damit, die gehärteten Sohlen zu befestigen. Es gab ja die sogenannte Krummledersohlen, da konnte man manchmal mit der Nadel nicht durchkommen. Das half nur eines. Die Sohlen ins Wasser legen, so wurden die weich, und die Nadel ging durch. Aber man musste schnell arbeiten, denn wenn die Sohlen trockneten, wurden sie auch wieder hart. Da hatte ich auch echt meine Schwierigkeiten.

Es dauerte schon bis zum dritten Lehrjahr, bis man alles gut genug konnte. Klar ging einem die Arbeit auch viel lockerer von der Hand. Ich hatte sogar gelernt, wie man einen bunten Faden mit in die Naht einzieht. Das sah sehr schön aus, aber der zeitliche Aufwand war enorm. Das wäre heute fast unbezahlbar. Schwierig wurde es auch, wenn ein sogenannter genähter Schuh zur Reparatur kam und der Kunde den Schuh in der gleichen Machart wiederhaben wollte. Dann liefen die hohe Reparaturkosten auf, weil der zeitliche Aufwand zu groß ist. Aber es gab eine günstigere Alternative. Zu meiner Zeit kamen die Gummisohlen auf und man konnte die Gummisohlen auf diese Rahmen aufkleben. Das hatte gehalten. Leder auf Leder, das hielt nicht von allein. Man musste das immer an gewissen Stellen, vor allem an der Spitze, nachnähen. Deswegen kamen diese Reparaturen zu meiner Zeit nur auf 5,00 DM bis 6,00 DM.

Vorkloppen fiel mir schwer

Teure Schuhe für Problemfüße

Ganz früher war es ja so, dass die einfachen Leute Holzschuhe trugen. Schuhe konnten sich nur die höheren Herrschaften erlauben. Später, mit der industriellen Herstellung von Schuhen konnten sich auch normale Leute Schuhe leisten. Aber handgefertigte Schuhe, das ist bis heute nur etwas für Leute, die mehr Geld haben. Für den Durchschnittsverdiener sind handgefertigte Schuhe nahezu unbezahlbar. Zu meinem Lehrherren Peters kamen deshalb auch nur Kunden mit „Problemfüßen“, die keine normalen Schuhe tragen konnten und sich spezielle Schuhe anfertigen ließen. Und kosteten aber auch viel Geld.

Für ein Paar Schuhe aus hochwertigem Leder zahlte man zu meiner Zeit so um die 300 DM. Da steckte ja auch eine Menge Zeit und Arbeit drin. Heute kostet ein orthopädischer Schuh in etwas feinerem Leder, der im Klebeverfahren hergestellt wird, ungefähr 800 bis 1.200 €. Klar zahlen die Krankenkassen auch einen kleinen Anteil, aber der schrumpft von Jahr zu Jahr. Zu meiner Zeit fing bekamen die Kriegsversehrte vom Versorgungsamt die Schuhe gestellt. Die zahlten dann nur einen Anteil zu. Das waren dann so 50 bis 100 DM.

Ich habe als Lehrling im ersten Lehrjahr 25 DM pro Monat verdient. Im zweiten Jahr wurde mein Verdienst auf 50 DM erhöht und im dritten Jahr sogar auf 100 DM verdoppelt. Die Gesellen hatten damals im Stundenlohn gearbeitet. Wieviel die verdient haben, kann ich nicht genau sagen, da war ich nicht mehr dabei, denn ich habe nach dem Schuhmacherhandwerk eine kaufmännische Lehre in Münster gemacht.

Als Lehrling bin ich jeden Morgen mit dem Zug von Quendorf nach Nordhorn gefahren. Meine Arbeitszeit war von 8 Uhr bis mittags 12 Uhr und dann von 13.30 Uhr bis 17.30 Uhr. Von Montag bis Freitag. Und sonnabends musste ich bis 12 Uhr arbeiten.

Mein Problem aber war, dass mein Zug um fünf vor 12 Uhr fuhr. Um den noch zu erreichen, musste ich schon etwas früher weg. Davor hatte ich aber noch die Bude aufzuräumen. Wenn ich das nicht zur Zufriedenheit meines Meisters gemacht hatte, musste ich den nächsten Zug nehmen. Dann war ich erst um 16 Uhr zu Hause.

Für meine Mittagspause hatte ich immer Butterbrote eingepackt. Warmes Essen gab es für mich dann abends, wenn ich zu Hause war. Ich kannte auch Lehrlinge, die waren bei ihrem Lehrherren in Kost und Logis. Die bekamen im ersten Lehrjahr aber nur 5 DM pro Monat.

Mein Lehrbetrieb war ja sehr klein, ein 4-Mann-Betrieb. Es gab einen Meister mit seinem Vater als Seniormeister, einen Gesellen und einen Lehrling, das war ich. Weil wir so klein waren, hatten wir uns alle blendend verstanden und die Zusammenarbeit war optimal. Obwohl ich als Lehrling viel dummes Zeug gemacht hatte, also unsauber gearbeitet habe. Aber man musste das ja lernen.

Jeden Morgen mit dem Zug nach Nordhorn

Zum Schuster geboren

Ich bin ja eigentlich in den Beruf des Schusters rein geboren worden. Bei uns war es Tradition, dass die Söhne in die Fußstapfen des Vaters treten. Ob man das nun wollte oder nicht. Es war einfach eine Selbstverständlichkeit. Unsere Firma wurde 1889 gegründet und besteht heute in der vierten Generation. Ob es eine fünfte geben wird, steht noch nicht fest. Ich würde meinem Enkel nie zuraten, heute das noch zu machen. Es sei denn, er entscheidet sich für Orthopädie. Aber das sogenannte Schusterhandwerk früherer Jahre kann ich heute den jungen Leuten nicht mehr empfehlen. Denn wir sind ja heute keine Schuhmacher mehr, wir sind einfache Reparaturschuster.

Mein Großvater hatte zwei Brüder und alle drei hatten das gleiche Handwerk gelernt. Er war Schuhmachermeister in Schüttorf, der andere war Schuhmacher in Veldhausen. Veldhausen ist der Geburtsort aller van der Veens. Der Dritte war Schuhmachermeister in Osnabrück. Die hatten praktisch ihr Leben lang ihre Werkstatt als Meister geführt, aber Nachfolger gab es kaum.

Nur in Schüttorf hat einer weiter gemacht. Der Hauptgrund lag vor allen darin, dass man als Schuster und in der damaligen Zeit selbst auch als Meister, nie soviel verdient hat, was man in anderen Berufen verdienen konnte. Viele hatten dann auch umgesattelt oder machten den Schuhmacherberuf nur noch nebenbei.

Unser Geschäft wurde 1889 in der Jürgenstraße vom Cousin meines Großvaters gegründet. Da, wo einst die Bäckerei Hauser stand. Später ist er in die Steinstraße umgezogen. Der Firmengründer ist aber schon mit 36 Jahren gestorben. Woran der gestorben ist, weiß ich nicht.

Seine Frau war eine geborene Tibbe, eine Schwester vom Tischlermeister Tibbe an der Nordhorner Straße. Sie hat dann meinen Großvater geheiratet. Die Ehe hatte fünf Kinder. 1916 wurde mein Großvater wurde Soldat. Er ist noch im selber Jahr in Russland gefallen. Da saß unsere Großmutter mit fünf kleinen Kindern allein da. Zwei von ihnen, mein Vater und meine Tante, waren noch so jung, sie haben ihren Vater kaum gekannt.

Aus dieser Not geboren hat meine Großmutter das Geschäft mit unserem damaligen Gesellen Bernhard Meins weitergeführt. Bernhard Meins war ungefähr 50 Jahre bei uns und ist 1949 verstorben. Sie konnten sich gerade eben über Wasser halten – mehr auch nicht. Und das mit 5 Kindern. Eine staatliche Unterstützung gab es damals nicht. Aber sie haben es geschafft, sich durchzuschlagen. Mein Vater hat das Geschäft 1943 übernommen, da war er noch Soldat. Um 1975 ist dann das Geschäft auf mich übergegangen. Seitdem führe ich das Geschäft. Aus steuerlichen Gründen war später meine Frau die Inhaberin.

Mein Sohn war bei der Firma König in Rheine in der Orthopädie beschäftigt. Er hatte enormen Zuspruch, auch in Schüttorf. Er kam abends immer ab 16 Uhr in unser Geschäft, manchmal war er noch früher da. Dort machte Trittspuren usw. Kleine Änderungen erledigte er bei uns in der Werkstatt.

Das erste Geschäft war in der Jürgenstraße

Nicht mehr auf dem neuesten Stand

WWir sind nicht auf dem neuesten Stand, die Feinarbeiten können wir nicht mehr machen. Wir sind im Grunde nur auf Reparaturen ausgerichtet. Das klappt an und für sich ganz gut. Ich wünschte mir, mein Sohn hätte noch ein bisschen mehr Zeit, mir zu helfen. Denn manchmal fallen etliche Sachen an, an die ich mich nicht mehr richtig herantraue. Aber Not macht erfinderisch und dann schafft man auch so was noch.

Ach ja, bevor ich es vergesse. Wir haben ja auch noch ein Sportabteilung in unserem Geschäft. Wir haben 1952, also noch vor der Fußball-Weltmeisterschaft, Kontakt zu Adidas aufgenommen und haben gleich den größten Hersteller als Lieferanten bekommen. Geholfen hat sicherlich auch ein bisschen, dass ich damals als Schiedsrichter tätig war. Das Sportgeschäft haben wir dann immer weiter ausgebaut. Später kamen noch Puma und NIKE als große Marken in unser Sortiment.

Heute ist das Sportgeschäft sehr rückläufig. Die großen Sportgeschäfte, vor allem die Intersport-Gruppen, nehmen uns die Kundschaft weg. Wir können in punkto Auswahl mit denen nicht mehr mithalten. Wir haben unseren Kundenstamm, vor allem Fußballer, Handballer, Jogger und Walker. Für die haben wir die richtigen Schuhe. Aber bei der Sportbekleidung oder Sportmode, da haben wir keine Chance.

Leider muss man feststellen, dass die Schuhmacherei ein aussterbendes Handwerk ist. Schuhe herstellen, das machen eigentlich nur noch die orthopädischen Schuhmacher. Es gibt hier und da noch Reparaturbetriebe, aber die sind meist sehr klein. Meine Werkstatt war zuletzt bei uns im Keller.

Nichts beschreibt mein Handwerk zum Schluss besser, als das Amtsdeutsch bei der Handwerkskammer: „Er macht nur noch Arbeiten von nicht erheblichem Wert“. Deswegen sind wir auch kein Mitglied mehr in der Handwerkskammer, weil Anteil der Werkstatt an unserem Gesamt-Geschäft nur ganz minimal war.

Arbeiten von nicht erheblichem Wert

In der Werkstatt kam die Flasche auf den Tisch

Dabei gab es in Schüttorf mal sehr viele Schuhmacher: Vor der Bahn war Fritz Rosche, dann wir, Selhorst und Hilbers in der Steinstraße. Am Markt war Leussing, in der Windstraße Roolfing. Im Singel gab es noch Büter, Coes und Funke. Dann hatten wir noch Martens in der Föhnstraße und Kupfer in der Gartenstraße.

Die Schuhmacher waren nicht nur Konkurrenten, sie waren irgendwie auch eine Gemeinschaft. Wir hatten meistens einen sehr freundschaftlichen Umgang miteinander. Wenn sich Oswald Kupfer oder Heinrich Funke irgendwo in einer Werkstatt trafen, kam eine Flasche auf den Tisch und dann ging es zur Sache. Nicht selten hatten sie anschließend Probleme, nach Hause zu kommen.

Die Schuster des ganzen Kreises waren in der sogenannten Schuhmacherinnung organisiert. Die trafen sich zweimal im Jahr in Nordhorn. Außer der Innung gab es lockere Verbindungen in den einzelnen Orten. Auch in Schüttorf. Da machten nicht alle mit, aber fünf bis sieben trafen sich regelmäßig.

Also ich muss sagen, es tut mir schon ein bisschen in der Seele weh, wenn ich sehe, dass dieses schöne Handwerk leider immer mehr an Bedeutung verliert. Aber vielleicht muss man es hinnehmen, dass unsere Zeit wie bei den Schuhen einfach abgelaufen ist. Da hilft nichts, da muss dann was Neues her.

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