Engelhard Schrader Kaufmann
Aus meiner Zeit als Kaufmann kann ich Ihnen so einiges erzählen. Die Welt war ja anders als heute. Als ich in die Lehre ging, gab es noch Stehpulte. Von wegen Sitzen beim Schreiben, das gab es nicht. Wir standen am Pult und mussten im Stehen unsere Arbeit erledigen. Geschrieben wurde größtenteils mit Federn. Deswegen auch früher der Ausdruck auf Platt „De Pinnliggers“ – das heißt, die Feder wurde ja nass gemacht, damit sie die Tinte annahm. Mit der Lippe wurde kurz die Feder befeuchtet und dann ging das Schreiben los. Ich habe noch ein altes Original zu Hause, wie schön und gestochen es geschrieben wurde. Das war wie gemalt.

Der Einzige, der sitzen durfte, war der Chef. Der saß auf einem Hocker am Tisch. Es war ja Pflicht, in guter, normaler Aufmachung im Büro zu erscheinen. Die alten Herren trugen größtenteils  Jacketts mit Schlips und Kragen. Von wegen locker und leger. Das war verpönt. Um ihre Anzüge zu schonen, hatten die alten Herren Gamaschen über ihre Ärmel gezogen. Die Jacken sollten doch lange halten. Alle halbe Jahre einen neuen Anzug wie heute, das gab es nicht. Zur Konfirmation gab es einen Anzug und den sollte man am besten bis zur Beerdigung tragen.

Zu Beginn meiner Lehre kamen dann die Schreibmaschinen auf. In der Schule habe ich schon das Zehn-Finger-System gelernt. Dafür bekamen wir Übungsstunden in der Mittelschule. Auch Stenografieren lernten wir dort. Aber Briefe, Postkarten, Rechnungen und Lieferscheine wurden noch größtenteils per Hand geschrieben.

Schreiben mit de Pinnliggers

1 Glas Bier für 10 Pfennige

Die Verdienste waren enorm. Ich bekam im ersten Lehrjahr 13 Reichsmark als Gehalt. Wenn ich mal etwas Besonderes wollte und meinen Vater nach einem Zuschuss fragte, dann kam: „Du verdienst doch Geld.“ Aber wir kamen mit den 13 Reichsmark meist gut über die Runden. Man darf ja auch nicht vergessen, es waren andere Verhältnisse als heute. Wir bezahlten damals für ein Glas Bier 10 Pfennige. Also mit 13 Reichsmark konnte man schon gut was anfangen.

Das ganze Leben erschien mir sowieso viel ruhiger und gelassener. Heute herrscht mehr Hektik. Es muss alles Zack-Zack gehen. Bei uns war es anders: Wir fingen morgens so gegen 8.00 Uhr an und mittags um 12.00 Uhr wurde abgeschlossen. Dann gingen alle nach Hause zum Mittagessen. Um 14.00 Uhr erschienen wir wieder auf der Arbeit. Da wurde dann gearbeitet, bis alles fertig war. Von wegen 16.00 Uhr Feierabend, das gab es nicht. Die Woche endete auch nicht am Freitag, sondern erst Samstags abends. Vor 19.00 Uhr war ich selten zu Hause. Wenn wir tagsüber was versauten oder nicht ordentlich gemacht hatten, sagte der Chef, wenn alle Feierabend hatten und nach Hause gingen: „So, jetzt machen Sie das noch mal, aber ordentlich.“ Das war die beste Lehre für uns, dass wir uns anstrengten bei der Arbeit und alles vernünftig machten.

Die Lebensmittel wurden damals noch alle lose gehandelt. Es gab nicht wie heute in jedem Laden abgepackte Gewürze usw., wir hatten im Betrieb so zehn bis zwölf Bottiche mit Gewürzen stehen. Während der Arbeitszeit mussten wir dann abfüllen. Der eine Kunde wünschte ¼ Pfund Pfeffer, der andere ½ Pfund. Der Pfeffer war lose in großen 100-Pfund-Säcken verpackt. Bei Zucker war es sogar 200-Pfund-Säcke.

Unser Angebot war aber bei weitem nicht so reichhaltig, wie es heute im allgemeinen ist. Irgendwelche Fertiggerichte oder so etwas gab es ja alles nicht. Wenn die Frauen im Kindbett lagen, nahmen die ein halbes Pfund Prumen, also Trockenpflaumen, mit aus dem Laden.

Die Bäcker backten damals noch in rauen Mengen Rosinen- und Korinthenstuten. Wir importierten unsere Korinthen aus Griechenland. Wenn die in Griechenland verladen wurden, mussten wir hier bei der Deutschen Bank – damals war es noch die Osnabrücker Bank – einen bestimmten Betrag hinterlegen. Erst dann fuhr das Schiff in Griechenland los. Wenn es in Hamburg ankam, wurde diese hinterlegte Summe eingelöst und wir konnten die Ware durch den Importeur übernehmen. Das ist heute ganz anders. Bezahlt wurde größtenteils bar. Die größeren Firmen führten damals so eine Art Wechsel ohne Unterschrift ein – die sogenannte Tratte. Das entspricht so in etwa dem heutigen Lastschriftverfahren. Das heißt, wenn man bei Henkel in Düsseldorf oder bei Maggi oder Knorr als Großhändler etwas kaufen wollte, dann musste sie eine Tratte akzeptieren. Die Tratte lief dann meist je nach Verhandlungsergebnis mal über 30 Tage oder mal über 60 Tage. Aber das war das höchste der Gefühle.

Bei Zucker usw. war es genauso. Zucker wurde von den Zuckerraffinerien geliefert und durch die Schüttorfer Spediteure größtenteils für uns abgeholt. Das wurde dann auch mit einer sogenannten Tratte beglichen. Aber die Einzelhändler bezahlten uns alles in bar.

Bezahlt wurde mit der Tratte

Erst bezahlen – dann bestellen

Als ich nach dem Krieg von einer zweitägigen Tour in die Niedergrafschaft wiederkam, hatte ich alle Taschen voller Geld. Vor allen Dingen Hart- und Kleingeld. Das war so üblich beim Kunden: Man muss erst bezahlen, bevor man eine neue Bestellung aufgab. Erst kam das Geld auf den Tisch, dann wurde der Auftrag gemacht. Geschrieben wurde alles noch mit der Hand. Ich hatte so ein kleines Notizbuch und darin wurde alles notiert. Aber jede Seite wurde eng beschrieben, damit ich nicht umblättern musste. Denn sobald man umblätterte, sagte der Kunde: „Nun ist Schluss, ist ja auch gut gewesen.“ So war das Kaufmannsleben damals.
1938 bin ich in die Lehre gekommen und musste zwei Jahre lernen. Wer eine höhere Schule wie zum Beispiel die Mittelschule besucht hatte, der hatte nur eine zweijährige Ausbildung. Die anderen mussten drei Jahre lernen. Berufsschule war zu meiner Lehrzeit noch keine Pflicht. Aber man konnte sie freiwillig besuchen. Das habe ich auch gemacht.

Ich ging nach Bentheim zur Berufsschule. Dort wurden wir vor allem von Leuten aus der Praxis unterrichtet. So brachte uns ein Buchhalter aus einem Industrieunternehmen, dessen Namen ich leider vergessen habe, das kaufmännische Grundwissen bei, so Briefe schreiben und Buchhaltung. Auch die Prüfung war freiwillig. Wer sich prüfen lassen wollte, konnte das machen. Eine verpflichtende Abschlussprüfung gab es erst nach dem Krieg.

Ich habe meine Prüfung damals freiwillig gemacht. In Osnabrück zusammen mit Gerd Wolbers, einem Schüttorfer Jungen und Schulkameraden von mir. Der ist im Krieg gefallen. Aber die meisten machten ohne Prüfung weiter und wurden als Angestellte in den Betrieb übernommen. Ich hatte gerade meine Lehre zu Ende gemacht und da kam meine Einberufung.

Die Prüfung war freiwillig

Waggons voller Zigarren

1924 war die offizielle Gründung unserer Firma. Mein Vater hatte damals die Firma von Herrn Lindemann übernommen. Der wohnte in der Steinstraße und hatte eine kleine Kolonialwarengroßhandlung. Wir haben uns dann nicht nur auf Kolonialwaren, sondern auch auf Weine, Spirituosen, Tabakwaren konzentriert.

Um mal eine Vorstellung zu haben: Wir bekamen vor den 2. Weltkrieg waggonweise Zigarren geliefert. Das war ein riesiger Artikel. Ähnliche Umsätze machten wir auch mit Süßweinen. Damals trank die ganze Grafschaft nur Samos, Tarragona, Muskateller usw. Da kamen aus Rotterdam große Halbfässer mit der Bahn oder ganze Waggons mit Süßweinen bei uns an. Von uns aus gingen die Waren direkt an den Einzelhändler.

Zu unseren Kunden in der Grafschaft zählten größtenteils Lebensmittelhändler und Bäcker. Ich glaube in Schüttorf waren es acht oder neun Bäcker. Wir lieferten schon per Lkw aus, als unser Mitbewerber, Firma Heinrich Hülsemann, die Waren noch mit Pferd und Wagen zum Kunden brachten.

Unsere erste zwei Lkws waren sogenannte Krupps. Das waren schier unverwüstliche Autos. Da wurde der Motor noch mit einer Handkurbel gestartet. Unser Lieferungen gingen in die Grafschaft, das Emsland und das nördliche Münsterland. Wir fuhren nach Wettringen, Bilk, Burgsteinfurt, Emsbüren, Salzbergen und bis hinter Lingen. Auch in die kleinen Bauernschaften. Tabakwaren, Zigarren und Spirituosen lieferten wir sogar bis ins Ruhrgebiet. Wir hatten auch schon früh Pkw für unsere Reisenden.

Ich vergesse nie, als mein ältester Sohn geboren wurde, musste ich meine Frau morgens in aller Herrgottsfrühe mit dem Auto nach Rheine ins Matthias-Krankenhaus bringen. Die Schwester an der Pforte fragte mich, wie ich denn so früh von Schüttorf nach Rheine gekommen wäre. Mit dem Auto, hatte ich ihr geantwortet. Da war sie ganz erstaunt. Ich habe sie dann darüber aufgeklärt, dass es ein Firmenwagen war. Es ging uns damals noch nicht so gut, dass wir uns privat ein Auto hätten leisten können. Ganz früher haben die Reisenden die Touren nach Bentheim und Gildehaus noch mit dem Fahrrad gemacht.

Während des 2. Weltkrieges wurden Lebensmittel grundsätzlich über Bezugscheine geliefert. Das heißt, wenn ein Einzelhändler jetzt 50 Pfund Zucker bestellen wollte, musste der uns einen amtlichen Bezugsschein vorlegen. Die Bezugscheine sammelten wir und reichten sie bei der Industrie ein, um neue Ware zu bekommen. Das war natürlich alles begrenzt, es gab nur bestimmte Artikel. Und freien Spielraum hatten wir nicht. Wir mussten uns genau an dieses Verfahren „Bezugschein gegen Ware“ halten. Auch der Verbraucher hatten so eine Art Bezugscheine. Die musste er im Laden abgeben, wenn er was kaufen wollte.

Die unverwüstlichen Krupps

Wer keinen Garten hatte, war arm dran

Nach 1945 mussten wir praktisch bei Null anfangen. Unser Lager ist in dem Wirren der letzten Kriegstage von der Bevölkerung gestürmt und geplündert worden. Alles war weg. Das war für uns eine Katastrophe. Aber wir haben es geschafft. Bis zur Währungsreform war unser Warensortiment natürlich sehr begrenzt. Man erhielt die Waren auch nur über Bezugsscheine, wobei die Bezugsmengen damals von der Besatzung sehr eingeschränkt waren. Die Leute konnten nur in geringen Mengen Lebensmittel einkaufen. Wer keinen Garten hatte, war verdammt arm dann. Denn von dem bisschen, was man über die Bezugscheine bekam, konnte man kaum leben. Nach der Währungsreform gab es auf einmal auf allen Gebieten wieder mehr Ware. War schon komisch.
Apropos Bezugsscheine. Die haben natürlich auch das alte Tauschgeschäft gefördert. Es gab nach dem Krieg ein Seifenimitat, Schwimmseife nannten wir die, die wurde nicht auf Bezugschein geliefert. Da mussten wir zu den Firmen fahren. Natürlich hatte wir fast immer ein Speckpaket dabei oder so etwas anderes, was wir uns vorher bei den Bauern organisieren hatten. Dieses Paket wurde erstmal unter den Tisch gestellt, bevor man überhaupt Ware bekam.

Ich bin damals mit dem Herrn Chiewinski, der war damals Fahrer bei Breukers, nach Bremen zu den Kornmühlen gefahren und wir haben dort Spaghetti und so organisiert. Oder wir fuhren zu Storck nach Werther und haben zehn Sack Zucker gebracht. Für zehn Sack Zucker gab es einen Lastwagen voll Kamellen. Diese Tauschgeschäfte waren damals üblich, denn die Reichsmark war kaum was wert.

Wir waren immer unterwegs, um zu organisieren oder zu tauschen. Das Problem war nur, um 22.00 Uhr abends war ja Sperrstunde. Dann durften wir nicht mehr auf der Straße sein. Da legten wir uns hinten auf unserem Lkw und haben bis zum anderen Morgen gewartet. Und der Lkw von Breukers, mit dem wir auf Tour waren, hatte seine besten Tage schon längst hinter sich. Der fuhr auch nicht mit Diesel, sondern mit Holzkohle.

Das Problem war die Sperrstunde

Meistens haben wir unser Geld bekommen

Das war so im Großen und Ganzen die Geschichte unseres Geschäftes. Aber es gibt noch viel mehr zu erzählen. Von alltäglichen Dingen und Sachen. Zum Beispiel vom Bezahlen. Es war so, dass die Zahlungsmoral nicht immer die beste war. Manchmal haben die Leute damit so lange gewartet, dass man zum letzten Mittel greifen musste. Um noch an sein Geld zu kommen, wurden zum Beispiel Zwangshypotheken eingetragen usw.

Aber ich muss wohl sagen: Toi, toi, toi, meistens haben wir unser Geld dann noch bekommen. Aber bei einzelnen Kunden haben wir auch dicke Verluste gemacht. Das konnte gar nicht ausbleiben. Das wäre ein Wunder gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre. Wir hatten auch immer ein Problem mit Diebstählen. Zwar nicht in dem Maße, wie es heute ist. Aber es wurde schon geklaut. Von Kunden und auch von Mitarbeitern. Zuletzt hatten in unseren Märkten eine Schwundquote von ungefähr 2 %. Das war ganz schön viel.

Kaufmann ist an und für sich ein ehrlicher Beruf, aber manchmal kommt man schon in Versuchung, ein bisschen zu schummeln. Ich muss gestehen, dass ich es auch mal versucht habe. Da war ein Kunde, der kam aus dem Osten und hatte oben in Kalle bei Hoogstede ein Einzelhandelsgeschäft übernommen. Der kaufte damals noch viel losen Reis ein. Und er handelte gerne. Der kannte auch was von seinem Fach, das muss ich wohl sagen. Einmal wollte er von mir Reis aus Italien. Das war aber der teuerste Reis, den es gab. Wir haben dann sehr lange und hart um den Preis gefeilscht. Es ging hin und her. Aber zum Schluss hatten wir einen Preis abgemacht. Wie ich zu dann wieder Hause war, wurde mir klar, jetzt hast du ein Ding gemacht, das kannst du gar nicht realisieren. Das sitzt gar nicht drin. Verdammt. Was mache ich nur? Ich beschloss, ihm einfach spanischen Reis zu liefern. Das merkt der gar nicht.

Als ich das nächste Mal zu ihm kam, ging er in den Laden und holte mit einem Schepper etwas von dem Reis, den ich ihn verkauft hatte. „Herr Schrader, Sie sind doch Fachmann. Was ist das für ein Reis, den Sie mir da geliefert haben?“ Er hatte mich erwischt. War mir das unangenehm. Betrügen konnte man die Leute früher nicht, die hatten alle Ahnung. Auch der Bäcker wusste bei den Rosinen genau Bescheid, was er da kaufte.

Ich kann aber von mir behaupten, dass ich ein ehrlicher Kaufmann war. Mein oberstes Prinzip hieß, nie den Kunden zu übervorteilen. Ich hatte ja auch Kunden gehabt, die mal krank oder aus anderen Gründen selbst nicht in der Lage waren, eine Order zu erstellen. Da haben mir meine Kunden voll vertraut. Ich ging in ihr Lager rein und habe mich umgeschaut. Dann habe ich den Auftrag gemacht, aber nie mehr aufgeschrieben, als sie auch wirklich brauchten. Wenn ich ihnen den ganzen Laden vollgepackt hätte, hätten sie mir das sicherlich übelgenommen. Und ich wollte sie ja doch als Kunden behalten.

Schummeln mit spanischem Reis

Man gehörte zur Familie

Insgesamt war das Verhältnis zwischen Händler und Kunden früher anders. Ich muss hier sagen, gerade die Grafschafter und die Lingener Kunden waren sehr angenehm. Wenn man zu ihnen kam und durch die die Türe ging, hieß es gleich: „Wat wills du hebben? Korinthenstuten oder sall ick dij nen Bodderkoken halen? Goa in de Kökken noa Dina hen, doar kriegst du noch Koffie.“ Das war fast ein familiäres Verhältnis. Man war da wie zu Hause. Man wurde zur Verlobung, zur Hochzeit oder Silberhochzeit eingeladen. Man gehörte einfach dazu. Die Kunden waren sicherlich auch froh, wenn sie einen guten Lieferanten hatten. Das war Vertrauenssache von beiden Seiten. Vertrauen zu gewinnen war sehr schwierig. Gerade in der Grafschaft. Hier waren die Leute sehr konservativ und auch vorsichtig. Da war es nicht einfach, Vertrauen aufzubauen. Aber wenn man es hatte, hatte man es zu 100 Prozent.
Zu unseren Hochzeiten hatten wir 15 Vertreter im Außendienst, die unsere Kunden regelmäßig aufsuchten und die Bestellungen aufnahmen. Ich war zuletzt als Vertriebsleiter im Hause für den Vertrieb zuständig. Wir belieferten nicht nur Einzelhändler, sondern vor allen Dingen auch Anstalten, Krankenhäuser, Heime und große Hotelketten. Der Kunde musste den Auftrag damals selbst schreiben. Während meiner Lehrzeit habe ich noch selbst meine Aufträge aufgeschrieben.

Wir hatten später so Orderbücher, da waren die ganzen Artikel aufgeführt. Der Kunde konnte da eintragen, was er haben wollte, und der Vertreter holte nur noch den Auftrag ab, besprach die Konditionen. Dann lief das automatisch. Alles war komplett durchorganisiert. Das Lager war auf EDV umgestellt. Der Sammler, der die Kommissionen zusammenstellte, der wusste gar nicht, was er einstellte. Der wusste nur, 1727 muss ich haben. Das stand dann oben am Regal groß dran, der nahm er den Karton da raus, das konnte ein Karton Milch aber auch ein Karton Rama sein. Alles war durchnummeriert und wurde über die EDV abgewickelt.

Alles war komplett durchorganisiert

Mit den Rechenautomaten begann der Fortschritt

Die erste Erfahrung mit EDV haben wir um 1965 gemacht. Wir bekamen die ersten Rechenautomaten, die vollautomatisch rechneten. Das war damals schon ein gewaltiger Fortschritt. 1972/1973 wurde die Lohnbuchhaltung auf EDV umgestellt. 1978/1979 folgte die Buchhaltung und dann die Lagerfortschreibung. Spätestens ab da lief das ganze Bestellwesen über EDV. Es brauchte keiner mehr im Lager nachzählen, was noch da war oder nicht. Der Einkäufer holte bloß seine Liste raus und kannte den genauen Bestand. Ein Mindestbestand musste vorhanden sein, sagen wir mal von 100 Kartons. Erst wenn der unterschritten war, bestellte er neue Ware.
Meine Eltern hatten am Bahnhof, dort wo Bruns seine Werkstatt hatte, eine Großhandlung, die ich später übernommen habe. Das war unser erstes Lagerhaus. Dann haben wir an der Bahnhofstraße ein neues Lagerhaus gebaut. 1978 sind wir dann mit mehreren Kollegen fusioniert und haben uns in Ibbenbüren niedergelassen.

Die normalen Groß- oder Einzelhändler hatte keine Chancen mehr am Markt. Heute gibt es ja kaum noch Einzelhändler im Lebensmittelbereich, sondern größtenteils nur noch Verbrauchermärkte und große Filial-Ketten wie K & K oder Edeka. Wir haben damals mit vier Großhändlern versucht, das gleiche auf die Beine zu stellen. Wir haben uns im norddeutschen und westdeutschen Raum auch Verbrauchermärkte angeschafft, mit dem Namen Famila – also Familienkauf. 1988 haben wir an Spar in Hamburg verkauft, die damals weiter fusionierten. Zwischenzeitlich sind die aber selber von der Edeka geschluckt worden.

Mit den Kollegen Famila gegründet

Nur noch die Menge zählte

In den ersten Jahren haben 20 bis 30 Leuten bei uns gearbeitet. Zu Schluss machte unser Betrieb ungefähr 200 Millionen Umsatz im Jahr und wir hatten über 500 Mitarbeiter. Das war für die damaligen Verhältnisse sehr viel, wir waren fast schon ein Großbetrieb, kann man sagen. Aber in der heutigen Zeit sind das nur noch Peanuts. Heute zählen nur noch 10 bis 20 Milliarden Umsatz oder noch mehr, sonst hat der Lebensmittelhändler keine Chance am Markt. Die Abnahmemengen bei der Industrie wurden immer größer. Ursprünglich hieß es da: Verkaufen Sie 100 Kartons, dann bekommen Sie den und den Rabatt. Später nur noch: Kaufst du einen Lastzug, dann kriegt Du den Rabatt. Es wurde noch lastzugweise gehandelt. Es zählte nur noch die Menge.

Ich weiß noch, wie es damals mit der Tiernahrung anfing. Als erster kam Chappi zu uns und sagte: Wenn Sie 20 Karton abnehmen, dann bekommen Sie 5 oder 10 % Rabatt. Dann steigerte sich das. Dann kamen fünf Paletten, dann zehn Paletten und dann nicht mehr ein Lastzug, sondern gleich zwei bis drei Lastzüge. Das mit der Tiernahrung ist ja heute ein riesiger Markt. Ein normaler Händler hat da heute keine Chance mehr.

Zum Glück hatten wir diese Entwicklung rechtzeitig kommen sehen und uns mit den Kollegen zusammengetan, um eine gewisse Größe zu erreichen, mit der wir damals am Markt überhaupt eine Chance hatten.

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