Gertraud Reich Krankenschwester

Ich war zwölf Jahre und ging noch zur Schule , als ich an einem Sonntag zum ersten Mal ins Krankenhaus gegangen bin. Fräulein Hensmann vom Kindergottesdienst sagte uns damals, dass dort immer Mädchen als Hilfe gebraucht wurden. Also bin ich hin zum Krankenhaus, ich sage einfach mal, ich fand es ganz toll. Aber auf die Idee, Krankenschwester zu werden, hat mich eigentlich unsere Mutter gebracht. Sie war früher Rote-Kreuz-Schwester. Deshalb gehörten Schere und Pinzette wie selbstverständlich zum Haushalt. Auch das Häubchen sowie die weiße Schürze waren immer da. Das war für mich ganz faszinierend.

Als Helferinnen mussten wir um 7.00 Uhr anfangen, aber ich stand schon um 5.00 Uhr an der Tür und klingelte, damit aufgemacht wurde. An der Tür war ein kleines Schildchen „Ich komme“. Und dann kam Fräulein Knoop oder irgendeine Nachtwache und ließ uns rein – wir waren ja immer zu zweit. Bevor unsere „Arbeit“ anfing, gab es erst eine Tasse Tee und einen Zwieback. Schon bald durfte ich helfen, Patienten zu waschen und zu füttern, oder was Sonntags so anfiel.

Vom Kindergottesdienst ins Annaheim

Für die Ausbildung noch zu jung

Irgendwann kam mir der Gedanke, dass ich das wohl gerne als Beruf machen wollte. Mit 15 Jahren bin ich dann in das Deutsche Rote Kreuz eingetreten. Unten auf der Männerstation arbeitete Georg Kolk, der auch beim Roten Kreuz war. Wenn wir sonntags Dienst machten, kamen wir uns so richtig wichtig vor, mit unserem gestreiften Kleid an und unserem Häubchen auf. Und wenn dann noch jemand rief: „Schwester, jetzt komm mal,“ fühlten wir uns fast wie Erwachsene. Mit der Zeit durfte ich auch etwas mehr machen, zum Beispiel eine Spritze anreichen oder einen Verband anlegen. Herr Kolk machte das großartig, der war bei allen sehr beliebt und konnte alles. Da habe ich einfach gedacht: „Du musst Krankenschwester werden.“ Aber das war gar nicht so einfach.

Nach der Schule habe ich erst in der Textilfabrik Schümer gearbeitet. Ich musste noch warten, bis ich 18 Jahre alt wurde. Denn erst mit 18 konnte ich nach Wolfsburg in die Lehre gehen. Da habe ich dann meine Ausbildung begonnen. Aber wie das machmal so ist, kam privat etwas dazwischen. So war ich mit 19 Jahren erst einmal wieder zu Hause, als Mutter mit einem Kind.

Meine Eltern wollten, dass ich die Lehre beende. So bin ich dann nach Rheine. Dort habe ich meine Ausbildung gemacht, später in Münster und Rheine gearbeitet. Aber die ganze Zeit über hatte ich mir schon vorgenommen: „Wenn dein Kind fünf Jahre ist, dann gehst du zurück nach Schüttorf“. So kam es, dass ich 1971 wieder nach Schüttorf gekommen bin. Für mich bedeutete dies, der Anfang einer ganz wunderbaren Zeit. Ich bin dann im Annaheim eingestellt worden. Eines Tages kam Dr. Oppel zu mir und sagte: „Nun hör mal eben zu. Möchtest Du wohl in den OP?“ Schwester Lina, die damals noch als OP-Schwester gearbeitet hat, war so etwa Ende 70. Also ihre Stelle könne ich bekommen. Ich war sofort Feuer und Flamme. In Rheine hatte ich schon als Hals-Nasen-Ohren-Schwester und im Augen-OP gearbeitet. „Ja,“ habe ich gesagt, „das möchte ich wohl gerne, aber das kann ich nicht.“ Von Chirurgie hatte ich überhaupt keine Ahnung. Da sagte Dr. Oppel: „Das ist überhaupt nicht schlimm. Das kriegen wir schon hin.“ Es wurden Instrumentenbücher gekauft und ich von Dr. Oppel zur OP-Schwester geformt.

Damals teilte Schwester Bertha morgens die Arbeit ein. Und ich muss sagen, Putzen stand bei ihr an erster Stelle – so war das früher. Dienstags und Donnerstags hat Dr. Oppel operiert und ich musste morgens vorher zuerst Toiletten putzen. Als mich Dr. Oppel dann vor der OP sah, hatte ich eine Gummischürze um und war in den Toiletten am wirken. Sein entsetzter Kommentar: „Sag mal, was machst Du denn da? Das geht doch überhaupt nicht. Wenn wir operieren, kannst Du doch nicht vorher putzen.“ Also wies er Schwester Bertha an, dass ich ab sofort an den OP-Tagen nicht mehr putzen durfte, was ja eigentlich auch ganz richtig war.

An den OP-Tagen kam Dr. Oppel morgens um 7.30 Uhr zur Visite ins Krankenhaus. Dann wurde besprochen, wer operiert und was operiert wurde. Um 11.00 Uhr konnte ich nach Hause gehen, um 13.00 Uhr musste ich wiederkommen. Im OP gab es große Doppelfenster mit breiten Fensterbänken. Dort lagen meine Bücher. Dr. Oppel sagte mir dann: „Hör mal, das und das machen wir.“ Da ist man einfach reingewachsen. Es hat auch alles sehr gut geklappt. Schwester Johanne hatte instrumentiert und mich sehr viel unterstützt. Das hat irgendwie ganz toll funktioniert.

Ohne Ahnung in den OP

Operieren mit knurrendem Magen

So bin OP-Schwester geworden. Als OP-Schwester fing mein Arbeitstag damit an, dass Fräulein Knoop die „Steri-Sachen“ fertiggemacht hat. Sie war immer der Meinung, dass nur sie wusste, was da zu tun sei. Aber ich hatte ja auch schon was gelernt. Als Dr. Oppel kam, haben wir das besprochen. Dann wurde es ganz wichtig, Schwester Gerhardine kam. Um 13.00 Uhr war sie noch im Garten und hatte Blumen gepflückt. Um 13.30 Uhr stand sie im OP – in den selben Schuhen, nur eine frische Schürze umgebunden. Schwester Gerhardine war für die Äthernarkose verantwortlich. Dr. Oppel machte vorher Akupunktur. Dann wurde operiert. Das ging auch meistens gut. Denn Dr. Oppel war ein sehr guter Arzt – aber erst einmal war er ein ganz toller Mensch und konnte auch alles in jedem Bereich. Oft hat sein Magen geknurrt, weil er am OP-Tag nichts essen konnte. Ja, er hat ganz viel geleistet. Man muss wissen, dass die OPs damals häufig auch alle viel länger dauerten als heute. Eine OP von zwei Stunden war ja nichts, heute ist das in etwa in 20 Minuten vom Tisch.

Aber es gab im Annaheim noch andere Ärzte, die operierten. Dr. Garich und Dr. van Delft, aber nicht so regelmäßig. Dr. Oppel hat jede Woche zweimal operiert. Der hat ja auch alles gemacht: genagelt, Haut verpflanzt, Kinder geholt, Eingriffe an der Galle oder dem Magen vorgenommen.

Manchmal gab es auch ganz traurige Geschichten, wenn der Patient eben nicht wieder ins Bett kam. Natürlich hat es das auch gegeben. Das waren ganz dramatische Sachen. So mussten wir einen einen jungen Mann operieren. Er war erst 17 Jahre alt. Beim Reinigen seines Luftgewehrs war ein Schuss losgegangen. Das war auch schlimm. Wir konnten diesem jungen Menschen nicht mehr helfen. Er ist uns unter unseren Händen quasi verblutet. Solche Misserfolge haben uns allen schwer zu schaffen gemacht. Auch Dr. Oppel war dann immer sehr fertig.

Bevor eine Operation überhaupt losging, mussten wir uns alle gründlich die Hände waschen. Auf die alte Weise, später war das ja alles anders. Wir wuschen uns die Hände in großen Schüsseln. Sie wurden erst mit Spiritus ausgegossen, dann angesteckt. Wenn der Spiritus verbrannt war, galten die Schüsseln als steril. Erst dann kam Wasser da rein. Anschließend legten wir sterile Kompressen ins Wasser und reinigten uns damit die Hände. Die Haut war dann ganz rot, so heiß war das. Das musste einfach so sein. Dann schlüpften wir in lange, weiße Kittel und zogen Handschuhe über. Als Letzter wurde Dr. Oppel so angezogen. Jetzt erst ging er an den OP-Tisch und prüfte, ob alles da war. Auch ich habe nochmal alles kontrolliert.

Wenn er dann anfing zu operieren, sagte er mir, was er haben wollte. Die Instrumente musste ich dann kennen. Ich denke, es hat etwa ein halbes Jahr gedauert, bis ich da so ganz fließend reingekommen bin: Kocherklemme, verschiedene Scheren: Präparierschere, Fadenschere, Mikolisch – das waren stumpfe Darmklemmen, Bauchhaken, Darmspreitzer und so weiter.

Wir konnten nicht jedem helfen

Blindes Vertrauen und Äthernarkose

Nach einer gewissen Zeit wusste ich meistens schon, wenn Dr. Oppel den Schnitt gemacht hatte, welche Instrumente er dann brauchte. Das hat er auch von mir verlangt. Ich hatte die Instrumente meistens schon parat und ihm auch genau das Richtige gegeben. Das hatte ich schnell im Griff. Er musste nicht hinschauen, das war ein blindes Verständnis. Jeder Operateur wollte das. Und wenn es geblutet hat, musste man die Unterbindung schon hinhalten und abschneiden. Das ging einfach Hand in Hand. Wenn alles gut gegangen war und er die letzte Naht machte, sagte er: „Jetzt haben wir es geschafft.“ Anschließend wurde der Patient versorgt und ins Bett gelegt. Schwester Gerdine machte dann das Letzte von der Narkose her, weil das war ja immer noch die Äthernarkose.

Kurze Zeit später war die Äthernarkose nicht mehr aktuell und durfte nicht mehr gemacht werden. Wir bekamen unser erstes Narkosegerät, wogegen sich Dr. Oppel lange gesträubt hatte. Er wollte es nicht, aber er musste. Das Narkosegerät wurde von Dr. Garich zusammengesetzt. Er hatte auch in der Anästhesie gearbeitet. Wo genau, weiß ich leider nicht. Jetzt war das Gerät da, aber keiner konnte es bedienen. Schließlich wurde Theo Kreuz nach Nordhorn zu einem Schnelllehrgang für Narkose geschickt. Aber das war nur eine Lachgasnarkose. Er hat dem Patienten einfach nur die Maske aufgesetzt und das Lachgas ein bisschen aufgedreht.

Dr. Oppel machte trotzdem noch mit seiner Akupunktur weiter, aber Äther durften wir dann nicht mehr nutzen. Und es hat dann auch wohl geklappt. Wenn aber eine Frau operiert werden musste, kam Theo hinter ein Tuch, damit er da nicht rüberschauen konnte. Irgendwie war das auch nicht das Wahre. Ich glaube Dr. Oppel passte das auch nicht so. Schwester Gerdine wurde ein bisschen nach hinten gedrückt und Theo musste dann kommen. Dr. Oppel tat sich sehr schwer damit, dass jetzt ein Narkosegerät im Einsatz und ein Pfleger dabei war. Bei den anderen Ärzten hat das besser geklappt.

Sie können sich wohl vorstellen, dass bei den vielen Operationen, bei denen ich dabei war, es auch einige Fälle gab, wo nicht alles glatt lief. Eine Wöchnerin wurde, ich sage mal 14 Tage vor der Geburt, nachts mit Blutungen eingeliefert. Ich wohnte ja direkt am Krankenhaus und wurde vom früheren Krankenwagenfahrer Ossendorf aus dem Bett geholt. Ich musste sofort kommen. Wir hatten noch nicht einmal ein Telefon, der hat dann immer geklopft.

Dann kam ich in den OP und die Diakonissen liefen durcheinander. Ich wusste ja noch nicht, was passiert war. Als ich in den OP kam, rief Dr. Oppel nur: „Du brauchst Dich gar nicht waschen. Komm einfach so rein.“ Ich hab mir schnell nur eine Gummischürze umgebunden. Was ich dann sah, war ganz furchtbar. Die Frau war schon verstorben. Er konnte einfach nicht mehr helfen, obwohl er alles versucht hatte. So etwas vergisst man nicht.

Dann hatten wir einen Magendurchbruch, leider ist der Patient auch gestorben. Dem konnte auch nicht mehr geholfen werden. Der ist einfach verblutet. Solche Fälle passierten meistens nachts. Bei dieser OP war ich nicht dabei, da war ich noch nicht gut genug.

Manchmal nahmen die problematischen Fälle aber auch ein glückliches Ende. Wir hatten einmal einen rothaarigen Patienten – man sagt ja immer bei Rothaarigen „die haben die verkehrten Pfannen auf dem Dach“. Was wohl stimmen muss, denn die bluten viel schneller, die sind viel gefährdeter. Das ist wirklich kein Witz, das ist so. Also, unser rothaariger Patient war ein junger Mann, bei dem eine ganz einfache Gallenblasen-OP gemacht werden sollte. Den hatte Frau Dr. Kaas operiert. Da ist eine Blutung eingetreten, was nicht vorauszusehen war. Dann war die Milz geschädigt und musste entfernt werden. Da sagte Frau Dr. Katz, er müsse da durch. Er hat es auch geschafft, obgleich er ganze lange im Koma gelegen hat. Wenn ich ihn heute in der Stadt laufen sehe, dann freue ich mich, dass er lebt.

So etwas vergisst man nicht

Meine Arbeit blieb im Krankenhaus

Ich war mit Leib und Seele OP-Schwester. Natürlich hat man da viel gesehen, das gehörte doch zu unserer Arbeit. Aber es hat mich auch betroffen gemacht. Aber nur kurz. Denn wenn die OP vorbei war, musste ich mich ja schon um den nächsten Patienten kümmern. Wenn ich nach Hause gegangen war, habe ich alles im Krankenhaus gelassen. Ich habe nichts mit nach Hause genommen. Das konnte ich gut. Später, als Dr. Mussa da war, waren wir ja zu fünft. Da hatte eine Kollegin zu mir gesagt: „Gertraud, ich verstehe das gar nicht, wie du das wegsteckst.“ Eine andere Kollegin wurde wirklich krank, die war seelisch fertig. Warum, weiß ich nicht. Ich habe das wirklich im Annaheim gelassen. Wenn die Tür zu war, dann war das für mich erledigt. Nicht, dass ich ein harter Mensch war, aber irgendwie konnte ich das gut dort lassen.

Unsere Tag-Schicht begann morgens um 6.00 Uhr. Dann bekamen die Patienten erst Tee und Zwieback, das Personal aber auch. Und es gab ja verschiedenes Geschirr, für die erste Klasse gab es was Tolles, die zweite Klasse bekam auch ihr eigenes Geschirr und die „Normalen“, die bekamen einfaches Stapelgeschirr.

Das wurde alles getrennt. Die erste und zweite Klasse bekamen den Tee aus einer Teekanne eingegossen. Für die anderen nahmen wir die große Kanne, aus der nachmittags auch der Pfefferminztee ausgegossen wurde. Anschließend gab es Frühstück. Das war ganz interessant. Schwester Bertha machte die Schnitten und Schwester Gertruida die Getränke. Und wir stellten uns hin mit einem Tablett und warteten. Und wehe, es wurde nicht aufgegessen. Das war ganz schlimm.

Nach den Patienten bekam auch das Personal Frühstück. Zuerst eine Milchsuppe. Milchsuppe mochte ich aber nicht. Ich mag keine Milch. Dann gab es drei Schnitten, die auch gegessen werden mussten. Richtige fette Braunschweiger von Roolfing. Und die war so lecker. Schwester Bertha wusste ja, was wir so mochten. Ich bekam immer eine Schnitte Braunschweiger, ein Butterbrot mit Sirup und eines mit Käse. Dann saßen wir alle zusammen, und jeder hat so gemümmelt, was er so mochte. Das musste man nur einmal sagen, dann bekam man das immer wieder. Schwester Bertha stand dabei immer mit dem Rücken zu den kleinen Lastenaufzügen in der Küche. Die hat nie gesessen, die hat immer nur gestanden und gegessen. Schwester Gertruida saß zwischen einem Schrank und einem Kühlschrank – da passte sie genau zwischen, soviel Platz war da. Wir saßen um den Tisch herum. Wann Patienten klingelten, weil sie auf den Topf mussten, haben wir eben schneller gegessen, weil es ist ja nicht so unbedingt schön ist, wenn man mitten im Frühstück weg muss.

Morgens wurden die Verordnungen gemacht – man bekam einen Zettel, was man machen musste. Nach der Mittagsruhe fing es nachmittags um 14.30 Uhr wieder an, mit Kaffee oder Tee und mit Kuchen oder Plätzchen. Um 17.30 Uhr gab es zum Abendbrot wieder ein warmes Essen. Die Diabetiker tun mir heute noch leid – die bekamen nämlich jeden Tag nur Gemüse, so aus dem Wasser ohne irgendetwas drauf. Das mussten die mit einer Scheibe Brot essen.

Klassengesellschaft im Annaheim

Schwester Bertha hab ich gerne gemocht

Über Schwester Bertha wurde manchmal gesagt, sie sei so ein bisschen resolut gewesen. Aber sie war vor allem eine herzensgute Frau. Alles was ich so kann, habe ich von ihr gelernt. Gut, im OP von Dr. Oppel, ist ja klar. Schwester Bertha hatte immer ein offenes Ohr. Ich habe sie gerne gemocht.

Zu meiner Zeit gab es ja im Krankenhaus noch drei Klassen. Die Patienten in der 1. Klasse lagen meist in 1- oder 2-Bett-Zimmern, bei denen in der 2. Klasse waren oft 3 bis 4 auf einem Zimmer und in der 3. Klasse gab so kleine Säle mit 6 und mehr Betten. Auch beim Essen wurden Unterschiede gemacht. Die Patienten haben in allen Klassen zwar das selbe Essen bekommen, aber sie kriegten es unterschiedlich serviert. Die 1. Klasse hatte Damastservietten – richtig schöne gestärkte und jedes Mal eine frische – und die bekamen ihr Essen auf dreigeteilten Tellern mit einer silbernen Glocke drüber. Sie bekamen auch beim Frühstück ihr Milchsuppe in einem kleinen Schüsselchen mit Goldrand, die anderen aßen die Suppe aus ganz normalen Tassen. Bei der 2. und 3. Klasse war das Essen auf einem einfachen Teller angerichtet. Sie bekamen aber kein anderes Essen. Sie erhielten nur unterschiedliches Service – auch die Bettwäsche war unterschiedlich. Die dritte Klasse bekam es ganz normal. Das fanden wir eigentlich nicht so gut. Da wurde wohl ein Unterschied gemacht. Das war aber nur zu den Diakonissenzeiten so, später nicht mehr.

Verwaltungsleiter Möhring, der Vorgänger von Herrn Verwold, war ein guter Bekannter von meinem Vater. Er hat ihn immer gefragt: „Hermann, wann kommt deine Tochter zu uns?“ Und da hat mein Vater gesagt: „Sie hat gesagt, wenn der Junge fünf Jahre ist, dann kommt sie.“ Ich bin dann von der Stadt von Bürgermeister Wenning und Stadtdirektor Johannsen eingestellt worden. Ich wurde schon nach BAT bezahlt, aber ich kann jetzt nicht mehr genau die Stufe sagen. Ich hatte etwas weniger wie in Rheine verdient. So etwa 800 DM netto. Als Dr. Mussa kam, bekam ich mehr Geld. Da war dann ja auch jeden Tag OP. Da konnte ich nie frei bekommen. Aber wie mein Vater ganz plötzlich starb, durfte ich eine Woche zu Hause bleiben. Aber über 1.000 DM hab ich nie verdient.

Eigentlich habe ich Vollzeit gearbeitet, aber die Stunden waren durch die OP-Zeit anders. Es gab ja noch keine Schichtarbeit. Am Wochenende hatte ich von 6.00 Uhr bis 11.00 Uhr gearbeitet, dann war 90 Minuten Mittag. Aber ich bin nicht nach Hause zu Mann und Kind gefahren, sondern im Krankenhaus geblieben und habe Jacken gestrickt. Ich habe dort Jackenstricken gelernt für mein Kind. Also ging ich mittags nicht nach Hause, obwohl ich das gekonnt hätte, ich hatte ja am Schottbrink gewohnt.

Ich hatte in der Woche sechs Tage gearbeitet. Alle 14 Tage auch am Sonntag. Dafür gab es einen freien Tag. Den konnte man sich aber nicht aussuchen. Schwester Bertha sagte morgens: „Gisela, Du machst jetzt frei, und Gertraud macht morgen frei.“

Mehr als 1.000 DM hab ich nie verdient

Omas machten Spaß

Ich persönlich liebte „meine alten Omas“. Die waren auch immer gerne für ein Späßchen zu haben. Wir hatten so unsere Zimmer, die wir zu zweit oder zu drittfertig machten. Einmal haben wir eine Puppe aus Kissen gemacht, mit Brille und so auf. Dann kam die Oma von der Toilette und ihr Bett war besetzt. Das fanden die richtig gut. Wenn ich so denke, früher war das ganz anders. So etwas könnte man heute ja gar nicht mehr machen. Es war einfach familiärer, weniger Stress, weniger Hektik.

Nach einem Blinddarm waren die Patienten etwa 14 Tage im Krankenhaus, bei Galle – eine Standard-OP, die Dr. Oppel sehr oft machte – blieben sie drei Wochen im Krankenhaus. Die bekamen ja in den ersten Tagen überhaupt nichts zu essen. Dann gab es den rektalen Tropf. Der Patient kam hinter einen Wandschirm, damit die anderen Patienten nicht sahen, dass er jetzt einen Tropf im Po hatte. Schwester Gertruida machte das immer. Diese Kochsalzlösung wurde in einem großen Topf gekocht und in eine Flasche umgefüllt. Schwester Gertruida musste dann hinter diesen Paravent und den Einlauf machen.

Der Tropf hinterm Wandschirm

Teppichknüpfen für den Basar

Wir haben uns mal den Kopf zerbrochen, warum ein Dreibettzimmer 14 Tage lang abgeschlossen war. Das war nicht belegt, aber abgeschlossen. Nur Schwester Bertha hatte einen Schlüssel. Die hatte so einen großen Schlüsselbund, wo alle ihre Schlüssel dran waren. Und nur Schwester Bertha ging da rein. Da habe ich zu einer Mitschwester gesagt: „Also irgendwas ist da, was wir nicht wissen sollen oder dürfen.“ Irgendwie haben wir es dann doch rausbekommen. Schwester Gertruida war auch nicht auf Arbeit, aber Urlaub hatte sie auch nicht, denn sie war morgens zum Frühstücken bei uns. Danach aber war sie verschwunden. Wir fanden heraus, dass sie in diesem Zimmer eingeschlossen wurde. Aber was machte sie da? Auch das blieb uns nicht lange verborgen. Schwester Gertruida musste einen Teppich knüpfen, der für den Weihnachtsbasar in Detmold bestimmt war. Den hat sie da geknüpft. Und wenn sie mal zur Toilette musste, klingelte sie, und Schwester Bertha hat sie dann rausgelassen.

Eine der wichtigsten Aufgaben einer OP-Schwester war das Instrumente-Zählen. Die Instrumente mussten nach jeder OP sogar zweimal gezählt werden. Genau wie die Bauchtücher. Das ging gar nicht anders. Ich kann das nicht verstehen, wenn ich heute lese, dass da so ein Bauchtuch oder eine Klemme im Bauch „vergessen“ wurde. Man zählte die Instrumente natürlich auch vorher.

Ich hatte immer die gleichen Instrumente auf dem Tisch. Bei einer Blinddarm-OP waren das: Fünf Kocher- und fünf Darmklemmen, immer alles im Fünfer-Takt. Man musste die nachzählen und ich war ja alleine. Ab Dr. Mussa waren wir dann zu dritt am Tisch. Ich für die Instrumente und zwei andere zum assistieren. Aber auch die waren mit verantwortlich für die Instrumente. Es musste jedes Teil zweimal gezählt werden. Die Tücher wurden nach dem Zählen auf den Boden geworfen.

Dr. Oppel hat uns zweimal im Jahr zum Essen eingeladen oder mal etwas für die Kasse gegeben. Aber ich habe auch sehr oft ein Lob bekommen. Eigentlich war er sparsam damit, aber wenn er lobte, war das ganz toll.

Instrumente im Fünfer-Takt

Der Mann mit den Nadeln

Eine OP mit Dr. Oppel war schon etwas Besonderes. Er machte die Narkosen meistens mit Akupunktur. Bei ihm klappte das. Es war ganz selten, dass es nicht ging, dann hat mal nachgespritzt, aber zu 90 % hat das geklappt. Dr. Oppel kannte die Punkte, wo er die Nadeln ansetzen musste – hinterm Ohr oder am Arm, je nachdem was für eine OP das war. Bei einer Galle ging das nicht, also tief im Bauch nicht. Blinddarm ging aber mit Akupunktur. Und wenn die OP wider Erwarten etwas länger dauerte, wurde in die OP-Wunde eine örtliche Betäubung nachgespritzt. Der Patient hatte einen Kopfhörer auf und hörte Musik. Bei Dr. Oppel ging das, bei den anderen Ärzten nicht.

Dr. Oppel hatte seine Routine, wie er das immer gemacht hat. Er hat auch nichts geändert, das wollte er nicht. Aber wenn Dr. Garich einen Blinddarm operierte, dann war das ganz anders. Der Blinddarm musste raus. Egal wie der abgesetzt war, alles wurde mit der gleichen Klemme gemacht. Die jüngeren Ärzte hatten eine andere Handhabung. Wenn Dr. van Delft operierte, war es auch wieder anders. Er war ja Frauenarzt und operierte ganz anders. Bei ihm liefen die Operationen viel langsamer ab. Bei Dr. Oppel ging das Ruck-Zuck.

Es noch einen ganz großer Unterschied zwischen Dr. Oppel und Dr. Garich. Dr. Garich bedankte für alles, was man für ihn tat. Er war ein sehr höflicher Mann.

Ich hatte meine Ausbildung zur Krankenschwester in Wolfsburg angefangen. Nach einem Jahr wurde ich schwanger, musste die Ausbildung abbrechen und bin wieder zurück nach Hause. Ich habe mein Kind in Rheine entbunden. Da habe ich gedacht: „Hier möchtest du wohl arbeiten.“ In Rheine arbeitete auch Schwester Renate. Sie kam aus Schüttorf und kannte meine Eltern. Eines Tages fragte sie mich: „Möchten Sie hier wohl arbeiten?“ „Ja“, war meine kurze Antwort. Schon nach sechs Wochen fing ich dort als Schwesternhelferin an, meine Ausbildung hatte ich ja nicht beendet.

Ich habe dort schon gearbeitet, als man mir sagte: „Irgendwie müssen Sie mal was machen.“ Es gab damals zwei Möglichkeiten für die Ausbildung, entweder die große Krankenpflege, die dauerte drei Jahre, oder die einjährige Krankenpflege, die es heute nicht mehr gibt. Man musste in beiden Fällen ein staatliches Examen ablegen. Lange habe ich überlegt, was ich jetzt machen soll? Drei Jahre lang Vater und Mutter auf der Tasche liegen – in der Ausbildung gab es wenig Geld, also 100 DM mit Zimmer und so. Das wollte ich meinen Eltern nicht zumuten, sie hatten ja schon mein Kind als viertes Kind genommen.

Da habe ich mich entschlossen, die kleine Krankenpflege in Münster zu machen. Einmal die Woche musste ich nach Münster zum evangelischen Krankenhaus. Viermal im Jahr war Blockunterricht. Ich hatte „nur“ die kleine Krankenpflege gemacht und immer gedacht: „Du kannst das ja später erweitern.“ Das hatte ich eigentlich auch vor. Aber dann habe ich meinen späteren Mann kennengelernt. Na, ja – und ich habe das nicht mehr gemacht.

Als ich später im OP war und eigentlich alles konnte und machen durfte, brauchte ich das auch nicht mehr. Spätestens nach der Geburt unserer Sabine war das „große“ Examen für mich erledigt. So wurde ich beim Gehalt auch nie wie eine examinierte OP-Schwester eingestuft, aber ich habe immer gut verdient. Als ich vor ein paar Jahren meine Rente eingereicht habe, da hab ich es zum ersten Mal ein wenig bereut. Denn wenn ich die OP-Ausbildung gehabt hätte, wäre meine Rente schon etwas höher ausgefallen. Trotzdem: Es war eine sehr schöne Zeit. Und ich würde es so eigentlich wieder machen.

Nach der Geburt ging es nach Schüttorf

  Morgens operiert – abends entlassen

Im Annaheim haben Dr. Oppel, Dr. van Delft, Dr. Garich und Dr. Mussa operiert. Später kam Frau Crusina, die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, als Frau Krusina weg war, kamen Dr. Dierich und Dr. Al-Odeh. Als Dr. Mussa ging, kam Frau Dr. Kaas. Das waren die operierenden Ärzte. Ich habe noch einen vergessen: Dr. Couginé, der Frauenarzt aus Bentheim. Der hat auch sehr viel operiert. Dr. Steinsland hat bis zuletzt, also bis 1996 im Annaheim operiert. Anschließend noch zwei Jahre ambulant. Das habe ich in meiner Freizeit einmal die Woche auch noch gemacht. Die Patienten sind dann morgens operiert worden und wurden, wenn sie mittags fit waren, wieder nach Hause entlassen. Aber das waren nur so kleine Operationen.

Man mag es kaum glauben, aber allgemein war es ganz lustig bei uns. Die Diakonissen haben gerne gefeiert. Wenn eine mal Geburtstag hatte, kamen wir auch auf verrückte Ideen. So sagte eines Tages Elli: „Morgen habe ich Geburtstag. Ich bring Kartoffelsalat für Euch mit.“ „Ich könnte wohl Koteletts braten“, sagte ich. So haben wir das gemacht. Als an Ellis Geburtstag der OP wieder sauber war, haben wir ein Bettlaken auf den OP-Tisch gelegt. Wo vorher der Patient lag, haben wir Kartoffelsalat und Koteletts gegessen.

Kurze Zeit später musste ich zu Schwester Gerdine ins Zimmer kommen. Natürlich fragte ich mich, ob ich was falsch gemacht hatte. Aber ich war mir keiner Schuld bewusst. „Setzen Sie sich mal“, sagte sie zu mir. „Haben Sie sich das wohl richtig überlegt?“ Ich wusste gar nicht, was sie meinte. „Muss das denn sein? Müssen Sie denn heiraten?“ Ich bekam einen roten Kopf. „Ja, aber Sie haben es doch jetzt so gut. Sie haben diese schöne Arbeit hier im OP, Sie haben Ihr Kind gut versorgt.“ Ich erwiderte: „Schwester Gerdine, ich höre aber nicht auf zu arbeiten. Ich will weiter arbeiten.“ Damit war sie so gar nicht einverstanden. Sie meinte, ich sollte mir das doch noch gut überlegen.

Kartoffelsalat auf dem OP-Tisch

Arbeiten ja – Urlaub nein

Durch meinen ersten Arbeitsvertrag standen mir 14 Tage Urlaub zu. Als Dr. Oppel starb und Dr. Mussa da war, bekam ich einen anderen Arbeitsvertrag. Da war ich nur stundenweise eingestellt, ohne Urlaubsanspruch – aber das waren nur zwei Jahre. Dr. Mussa hat sich dafür eingesetzt, dass ich einen anderen Vertrag bekommen habe, mit 27 Tagen Urlaub. Ich hatte eigentlich nur OP-Stunden gehabt. Das war unterschiedlich. In der einen Woche waren es mal mehr Stunden, in der anderen waren es weniger. Es ging nur nach den Operationen. 1982 ist Dr. Oppel gestorben, und als 1983 Dr. Mussa das Regiment übernommen hat, bin ich auch nur nach OP-Stunden bezahlt worden. Wenn wir in einer Woche fünf Operationen hatten, dann hatten wir in der anderen Woche vielleicht 20 – also danach bin ich bezahlt worden.

Ich habe 1996 im Annaheim aufgehört. Das Krankenhaus wurde ja geschlossen, und wir bekamen eine Abfindung. Dann sind wir auch vermittelt worden. Wir mussten alle zu Herrn Bajog. Der hat sich sehr bemüht, dass wir wieder Arbeit bekamen. Aber bei mir war das ganz schlecht, weil ich keinen Führerschein hatte und nicht woanders vermittelt werden konnte. Dr. Ortloff, den ich auch sehr gut kenne, wollte sich dafür einsetzen, dass ich in Bentheim anfangen konnte, aber das war für mich wegen der Bereitschaft etwas schlecht.

Da bin ich ein Jahr lang zu Hause gewesen und Mathilde Talle wollte mich in der ambulanten Krankenpflege gerne haben. Darum habe ich das noch so ein bisschen ausklingen lassen. Ende 1997 habe ich bei der Diakonie angefangen. Dort habe ich Hauspflege gemacht und alles, was ich mit dem Fahrrad abfahren konnte. Bei der Diakonie war ich über 10 Jahre tätig. 2003 musste ich leider aus gesundheitlichen Gründen aufhören.

Herr Bajog hat uns sehr geholfen

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