Mein Vater war Schuhmachermeister in Schleswig-Holstein und hatte das zweite Mal geheiratet. Mein Verhältnis zu meiner Stiefmutter war nicht das allerbeste Verhältnis. So musste ich weg. Ein guter Bekannter sagte, er hätte einen Bekannten in Nordhorn, der habe einen Dachdeckerbetrieb. Ich habe mich dort vorgestellt, aber er sagte zu mir: „Tut mir leid, ich habe Lehrlinge genug, aber unser Obermeister Freckmann in Bentheim sucht noch einen.“ Ich hab mich dann bei Freckmann vorgestellt und konnte sechs Wochen auf Probe bleiben. Diese Probezeit ist mir eigentlich leicht gefallen, weil ich dort in Kost und Logis war. Ich habe natürlich auch mein Bestes gegeben.
In Hermann Freckmann hatte ich zwar einen sehr strengen, aber auch einen sehr guten Lehrmeister. Er war jahrelang Obermeister und wollte natürlich immer das Beste von seinen Leuten. Ausgerüstet waren wir schlecht – Auto oder so etwas gab es nicht, Aufzüge auch nicht. Alles musste getragen werden. Die Dachpfannen wurden mit dem Pferdefuhrwerk vom Bahnhof geholt und dann zur Baustelle transportiert. Das war eine furchtbare Knochenarbeit. Dazu kam die lange Arbeitszeit. Da ich in Kost und Logis war, musste ich nach den Dachdeckerarbeiten noch in der Landwirtschaft des Meisters arbeiten.
Mein Meister legte sehr viel Wert darauf, dass wir Lehrlinge spätestens nach dem ersten Lehrjahr die Arbeiten so wie ein Geselle ausführen konnten. Anfangs haben wir immer gesagt: „Oh Gott, der kann keine Lehrlinge ausbilden.“ Das war schon manchmal echt brutal, was da so gelaufen ist. Ich war damals 18 Jahre alt, und es wurde keine Rücksicht genommen, ob man nun ein Jahr oder zwei Jahre dabei war. Man musste die gleiche Arbeit machen wie die Gesellen. Man hat immer 10 bis 15 Pfannen auf die Schulter gepackt bekommen und musste damit die Leiter hoch. Das war eine furchtbare Knochenarbeit. Aber im Nachhinein kann ich sagen, dass die Ausbildung insgesamt gar nicht schlecht war.
Dann kam meine Gesellenprüfung. Mein Meister hatte als Obermeister natürlich für mich das schwerste Gesellenstück ausgesucht. Er sagte vor der Prüfung zu mir: „Komm mir nicht mit einer schlechten Note. Ich bin als guter Ausbilder bekannt.“ Meine Prüfung habe ich an einer Schiefergaube abgelegt und mit Bravour gemeistert. Es hat alles wunderbar geklappt, aber ich habe viele Vorbereitungen an Modellen und Mustern treffen müssen. Diese Übungen konnte ich während der Arbeitszeit machen, um in die Materie vernünftig einsteigen zu können. Unser Meister legte immer sehr großen Wert darauf, dass das, was wir im Betrieb gelernt hatten, auch vernünftig in der Praxis umgesetzt wurde.
Hermann Freckmann hatte drei Lehrlinge und sieben Gesellen. Die Arbeit begann um 7.00 Uhr, um 9.00 Uhr war Frühstück und um 11.00 Uhr Bürgermeisterzeit. Für uns Lehrlinge hieß das, Brötchen und Bier für die Gesellen holen. Mittagspause hatten wir von 12.00 bis 13.00 Uhr. Dann wurde bis 18.00 Uhr weiter gearbeitet, manchmal auch bis 19.00 Uhr abends.
Im Allgemeinen waren die Sicherheitsvorkehrungen zu meiner Zeit bei weitem nicht mit heute zu vergleichen. Die Gerüste bestanden ja alle aus Holzstangen und Holzbrettern. Sie waren mit Ketten und Drahtseilen verbunden. Trotzdem, ich persönlich hatte in meiner ganzen Berufslaufzeit nicht einen einzigen Unfall. Vielleicht auch, weil ich die alte Dachdeckerdevise beherzigt immer habe: „Arbeite besonnen und bedacht – nur keine Akrobatik.“
Zu meiner Zeit vielfach noch mit Strohdocken. Was das ist, möchte ich gerne erklären. Legt man zwei gewellte Hohlziegel nebeneinander, dann entsteht eine Kopffuge und eine Längsfuge. Durch die Längsfuge könnte aber Staub, Dreck und Schnee eindringen. Deshalb hat man früher ein geflochtenes Strohbündel, also eine Strohdocke, in die Längsfuge gelegt. Wenn man dann vom Boden aus die Dachunterseite betrachtete, so sah man gleich, das Dach war das dicht. Nirgendwo drang Licht durch. Die Atmungsaktivität mit dieser Verdockung war auch entschieden besser als mit einer Vermörtelung.
Später hatten wir dann unser erstes Auto. Es war ein Tempo Goliath, ein kleines Auto mit drei Rädern und einer kleinen Ladefläche. Damit ging es schon leichter, die Materialien zur Baustelle zu schaffen. Aber zu schwer durfte man den auch nicht beladen, sonst kam er nicht den Berg hoch.
Wenn wir das Material zur Baustelle gebracht hatten, wurden zuerst am Dachstuhl die Dachlatten angenagelt. Anschließend kamen einige Hilfskräfte, die im Akkord die Dachziegel auf den Dachboden brachten. Das war oft Fabrikarbeiter, die sich etwas zuverdienen wollten. Dann konnten wir Gesellen mit dem Eindecken beginnen.
Mit dem Verlegen der Dachziegel war das Dach aber noch lange nicht fertig. Die Firstziegel wurden mit speziellem Mörtel angeschmiert. Am Schornstein wurde noch Blei eingelassen und über den Dachziegeln angepasst, damit dort kein Wasser eindringen kann. An den Giebelseiten verlegten wir die Dachziegel in Mörtel. Eventuell eingebaute Dachfenster und Ausbauten mussten abgedichtet und angepasst werden.
Früher wurden die Dächer oft mit Nachbarschaftshilfe eingedeckt. Das war für uns als Dachdecker etwas ganz Besonderes. Diese Arbeiten fanden nur sonnabends statt, da hatten die Nachbarn am besten Zeit oder der Bauherr konnte dann die meisten Leute beschaffen. Wir Fachleute hatten es besonders gut, wir bekamen dort Frühstück, Mittagessen und auch Getränke. So eine Dacheindeckung war immer eine kleine Feier.
Bückling vor der Prinzessin
In Schüttorf hatte er das „absolute Sagen“ und auch immer einen sehr guten Kontakt zur Kirche. Das war wohl auch der Grund, dass wir damals fast 6 Jahre lang an der großen Kirche in Schüttorf gearbeitet haben. Wir haben den Helm erneuert, den Turm von oben bis unten verfugt und sämtliche Dachdeckungen am Turm ausgeführt. Die Arbeiten am Kirchturm waren schon eine besondere Herausforderung. Da brauchte man Fahrstühle, um das Material noch oben zu bekommen. Meine Aufgabe war es, diese Fahrstühle zu befestigen. Ungefähr 5 Meter unter der Kugel war eine Dachluke. Aus dieser Dachluke wurde eine Dachleiter herausgeschoben. Unterhalb der Kugel befand sich ein Haken, an dem die Leiter eingehängt wurde. Die Leiter wurde noch an der Luke ein befestigt, damit sie nicht zu viel nach links und rechts schwanken konnte.
Hans Kerkhoff hatte das Sagen
Natürlich haben wir auch die alten Fahrstühle im Kirchturm selbst für unsere Arbeiten benutzt. Die Seile für die Fahrstühle waren bis 2.000 m lang. Die Flaschenzüge wurden vierfach oder fünffach eingefädelt, je nachdem was für ein Gewicht man ziehen musste. Wenn wir uns selbst hochziehen mussten, wurde vierfach eingefädelt. Links und rechts auf dem Fahrstuhl wurden dann noch 20 Kilogramm Material mitgenommen. Wenn wir dieses Material verarbeitet hatten, sind wir wieder heruntergefahren, um neues Material zu holen.
An den Seilen hing ja sprichwörtlich unser Leben. Deshalb haben wir sie wie rohe Eier behandelt. Sie durften auch nicht feucht werden. Wenn ein Unwetter im Anmarsch war, wurde das Seil eingeholt oder wir zogen die Fahrstühle hoch bis dicht an den Hochpunkt zur Rolle, damit soviel Seil wie möglich im Trockenen lag. Wenn die Seile wieder heraus geholt wurden, untersuchten wir sie Zentimeter für Zentimeter, ob eine Faser angerissen war.
Nach jedem dritten Hahnwechsel oder nach jeder dritten Bearbeitung wurde der Hahn heruntergenommen und die Schilder entfernt, weil je mehr Schildchen daran befestigt waren, desto schlechter war er justiert. Die Halterung hatte nämlich kein Kugellager. Der Hahn „saß“ einfach auf einer runden Stange. Am oberen Ende der Stande war eine Mulde eingefräst, in die man eine Handvoll Fett schmierte. Anschließend wurde die ca. 40 cm lange Rohrhülse, an der der Hahn befestigt war, über die Stange gestülpt.
Der Hahn hatte Verspätung
Hans Kerkhoff und ich haben ab 1967 den ganzen Kirchturm umgedeckt. Daran haben wir zwei Jahre lang gearbeitet. Jede einzelne Schieferplatte wurde abgenommen, umgedreht und neu verarbeitet. Das hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Wir waren auch mit den Wartungsarbeiten beauftragt, so dass wir sehr oft am Kirchendach gearbeitet haben.
Insgesamt war ich fast 20 Jahre bei Hans Kerkhoff beschäftigt. Wir haben uns immer gut verstanden, waren sozusagen ein Herz und eine Seele. Später suchte die Firma Stahlbau Lammering einen Dachdecker für alle Dachdeckerarbeiten. Dort habe ich dann die Dachdeckerabteilung geleitet. Später bin dann in die Bauleitung gegangen und war nur noch für die Abnahme der ganzen Dachdeckerarbeiten zuständig.
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