Vor mir liegt eine große, lange Wiese mit vielen bunten Wildblumen. Dieser Wiesentyp erinnert mich an meine Jugendzeit. So sahen damals die Wiesen alle aus, zumindest in den feuchteren Gegenden. Die Gräben waren damals auch nicht so tief und breit ausgebaut, wie sie es heute sind.
Jetzt durch die hohe Vegetation zu laufen und unter den Füssen den schwammigen, schwankenden, moorigen Boden zu spüren, das ist schon speziell, fast so wie früher. Aber dafür ist es eine Wonne, durch viele Tausende Pflanzen zu gehen und an alte Erinnerungen zu denken. Wo gibt es das noch? Damals war es keine Schwierigkeit, für Mutter ruckzuck einen bunten Blumenstrauß zu pflücken. Es gab fast auf jeder Wiese massenhaft Wiesenflockenblumen, Sumpfdotterblumen, Wiesenschaumkraut, Löwenzahnblüten, Margeriten, Schwanenblumen, Iris, Wiesenknöterich usw. Heute ist das schon eher selten, eine Wiese mit hohem Anteil an hauptsächlich gelben Blüten in dieser Fülle zu sehen. Diese Wiese kommt zwar in ihrer Vielfalt nicht an die uralten Wiesentypen heran, aber es geht in die Richtung.
Die Bäume und Sträucher sowie die Binsen und hohen Gräser werfen immer länger werdende Schatten über die Wiesen, denn die Sonne steht immer tiefer und tiefer.
Plötzlich fliegt ein Kiebitz mit hoher Geschwindigkeit und kunstvollem Balzflug und den typischen Balzrufen über die Blänke. Bei den Balzrufen zeigt er auch gleich an, wer da fliegt: kiiibitz, kiiibitz, ruft er dann. Hoch hinauf geht sein Flug durch das grelle Abendlicht hindurch, um im selben Moment sich wieder in die Tiefe zu stürzen. Kurz über den Binsen geht es nun im Schrägflug knapp über den Boden entlang. So schnell wie der Kiebitz aufgetaucht ist, ist er auch schon wieder abgezogen. Nicht ohne noch ein paar Rufe zurückzulassen, ist er in den Abendhimmel abgezogen.
An verschiedenen Stellen in den nahegelegenen Hecken und Sträuchern höre ich einige Baumpieper um die Wetten singen. Ein Pieper steigt sogar noch zu einem Balzflug auf, um danach wieder auf seinen Ansitz zu landen. Baumpieper zeigen einen interessanten Balzgesang, verbunden mit einem Balzflug. So wie eine ansteigende Tonleiter steigt auch der Flug stimmlich in die Höhe, um dann nach dem höchsten Punkt in den Sinkflug zu gleiten. Gleichzeitig sinkt auch die Tonleiter seines Gesangs. Ein Spektakel, das nur im Frühling zu sehen und zu hören ist.
Eine aufgeschreckte Bekassine fliegt erst kurz vor mir auf, so dass iauch ich mich kurz erschrocken habe. Aber ich bin dennoch froh über diese Begegnung, weil sie recht selten hier geworden ist. Diese Art hat ein hervorragendes Tarnkleid, man kann es sehr schnell übersehen. Bekassinen werden auch Himmelsziegen genannt, denn in ihrem Balzflug über den Feuchtwiesen lassen sie ein merkwürdiges Meckern erschallen, das einem Ziegenmeckern ähnelt.
Eine Stimmung von einkehrender Ruhe kommt hier auf, aber auch eine gewisse Gespanntheit ist zu verspüren. Etwas Ungewisses, etwas Unerwartetes liegt in der Luft. Man weiß nicht so recht, ob noch etwas passieren wird, oder ob bereitsdie Nachtruhe eingeläutet ist.
Mein Blick schweift umher und sieht in der weiteren Umgebung eine von der Sonne angestrahlte Salweide in ihrem hellgrüngelben Erscheinungsbild. Weiter im Hintergrund werden die Hecken immer mehr undeutlicher und zu einem schwarzbraunen Gebilde, das in ihren Höhen stark variiert.
Die ersten Frösche quaken jetzt auf einmal. Wenn einer anfängt zu quaken, erhält er bald darauf von anderen Fröschen eine Antwort. So ein Froschkonzert lässt mir ein Grinsen ins Gesicht steigen, denn so intensiv habe ich es schon lange nicht mehr gehört. Das tut richtig gut für einen Naturfreund. Mein Blick sucht die Wasseroberfläche ab, um die Frösche zu finden. Ich sehe sie lediglich Kringel ziehen auf der Oberfläche. Viele Binsen und Laichkräuter und andere Wasserpflanzen, die aus dem Wasser herausragen, bieten gute Verstecke für die Frösche. Aufpassen, nicht gefressen zu werden, ist wohl angesagt, denn der Graureiher und auch die Kraniche, die hier gelegentlich vorbeischauen, langen sofort mit einem geübten Schnabelhieb zu.
Doch auf der Wasseroberfläche bewegt sich noch mehr. Das sind ja nicht alleine die Frösche, die dort Kringel ziehen. Erst nur ein Kopf, dann die Silhouette eines Körpers streckt sich im Gegenlicht empor. In der untergehenden Sonne auf der Blänke, in einem fahlen Abendlicht, sieht es noch spannender aus, als es ist. In den Wiesen beginnt jetzt die Zeit der nachtaktiven Wesen in der ganzen Blänkegemeinschaft. In diesem Fall sind es Pflanzenfresser. Sie kommen ins Geschehen, wenn sie in der Dunkelheit sicherer vor Sichtjäger sind.
In der Ferne höre ich einen Rehbock laut blöken. In der Nähe vernehme hingegen etwas Schmatzen. Dunkle Gestalten bewegen sich langsam, tauchen auch Mal wieder ab, um an anderer Stelle wieder zu erscheinen. Wie aus dem Nichts treten immer mehr Gestalten wie Schemen aus der Dunkelheit. Eine Familie scheint es zu sein. Jetzt erkenne ich gerade eine kleinere Gestalt, es scheint ein Jungtier zu sein. Eine dieser dunklen Gestalten kommt mir langsam immer näher. Sie frisst in Ruhe Wasserpflanzen und lässt sich dabei nicht stören. Ich bleibe ganz ruhig stehen und habe meine Kamera im Anschlag. Hoffe auf ein paar Fotos und darauf, dass man auf den Fotos später auch noch etwas erkennen kann, denn die Dunkelheit schreitet voran.
Ich erkenne gerade noch lange Barthaare am Kopf. Das sind auch gleichzeitig richtige Fühler, die in der Dunkelheit in der Umgebung wichtige Signale für die Sicherheit abgeben können.
Diese Tiere können auf den flachen Wiesenflächen nicht viel Schaden anrichten. Anders sieht es an den Gräben und Flüssen aus. Dort bauen sie in den Uferbereichen tiefe unterirdische Bauten aus, die dann zu Einstürzen und Dammbrüchen führen können. Deshalb ist diese Tierart auch jagdbares Wild geworden. In flachen Wiesen bauen sie oft oberirdische, aus vielen Pflanzenteilen aufgeschichtete Kleinburgen.
Ich will diese kleine Familie nicht stören und ziehe mich vorsichtig aus dem Feuchtgebiet zurück. Langsame Schritte, dann geht alles gut. Von Weitem werfe ich noch einen Blick zurück auf diese schöne Wiese mit ihrem Eigenleben, eine andere Welt, die so selten wahrgenommen wird.
Die hellgelb leuchtenden Hahnenfußblüten leuchten noch im allerletzten Lichtstrahl und weisen mir den Weg hinaus. Noch schnell einen tiefen Atemzug mit dem Duft der Wiesen mitnehmen nach Hause.Eine wunderbare Abendstimmung, eine wunderbare Wiese voller Leben. Ein wunderbares Erlebnis für mich. Danke, dass ich das erleben durfte.
Erlebt, aufgeschrieben und fotografiert von Heinz Bavinck
P.S. Den Ort und die Tierarten werde ich nicht bekannt machen.